Sebastian Gruber, Landrat des Landkreises Freyung-Grafenau und Dritter Vizepräsident des Bayerischen Landkreistags, bewertet die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz zweischneidig. „Die deutlichen Signale der bayerischen Landkreise und Kritikpunkte am Bund kommen allmählich in Berlin an. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch keine Kehrtwende“, so Landrat Sebastian Gruber. „Die Bewertung der Beschlüsse durch den Bundeskanzler als ‚sehr historischen Moment‘ teile ich ausdrücklich nicht. Eher wurde eine historische Chance vertan“, so Gruber mit klaren Worten in Richtung Bundeshauptstadt. „Wir brauchen einen echten Paradigmenwechsel in der Asylpolitik mit dem Fokus auf gesteuerte und begrenzte Zuwanderung sowie klarer Differenzierung zwischen Asyl und Erwerbsmigration.“
Ein wichtiges Ergebnis der Berliner Runde ist für Sebastian Gruber der geplante Umstieg von Geld- auf Sachleistungen für Asylbewerber und die damit verbundene Einführung eines Bezahlkartensystems. „Ich hoffe sehr, dass das tatsächlich umgesetzt wird, denn das reduziert die so genannten Pull-Faktoren“, so Gruber. Außerdem wird dadurch verdeckte Entwicklungshilfe durch Überweisungen in die Heimatländer eingedämmt. Positiv zu bewerten sind zudem die Absichtserklärungen hinsichtlich beschleunigter Asylverfahren, Einrichtung von Asylzentren außerhalb der EU und Kürzungen bei den Sozialleistungen. „Eine europaweite Harmonisierung von Integrations- und Sozialleistungen ist weiterhin eine zentrale Forderung“, unterstreicht Landrat Sebastian Gruber mit aller Deutlichkeit. Leider helfen aber all die formulierten Absichtserklärungen den Kommunen kurzfristig nicht weiter. „Die Unterbringung fordert uns vor Ort nach wie vor täglich, die Kapazitäten sind schon lange knapp, die Lage ist deshalb nach wie vor angespannt“, so Gruber. „Es geht aber nicht alleine um die Erstunterbringung und ein Dach über dem Kopf. Mittlerweile ist Integration in die Gesellschaft kaum mehr möglich. Zudem werden die höchst angespannten Infrastrukturen, wie beispielsweise Kindergarten- und Betreuungsplätze, Beschulung, Deutsch- und Integrationskurse sowie die medizinische Versorgung und vieles mehr im Höchstmaße überstrapaziert – und das zumeist auf dem Rücken der Kommunen.“
Auch nach der Ministerpräsidenten-Konferenz steht fest: Vor allem eine deutliche und kurzfristige Entlastung der Kommunen wird von Sebastian Gruber gefordert, der auch Vorsitzender des Bezirksverbandes Niederbayern im Bayerischen Landkreistag ist. „Dabei spreche ich nicht nur vom Geld, Finanzierungsfragen sind natürlich wichtig. Die aktuelle Asyl- und Migrationskrise ist aber nicht alleine mit mehr Geld der Steuerzahler zu lösen. Es geht um das klare und notwendige Ziel einer - wie es Bundespräsident a.D. Joachim Gauck bezeichnet hat – ‚Begrenzungsstrategie‘“, so Gruber. Erst im September 2023 hatte Gruber ein eindringliches Schreiben an Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat, verfasst. In dem Brief schilderte Gruber die besondere Flüchtlingssituation im Grenzgebiet Freyung-Grafenau (Dreiländereck Deutschland – Tschechische Republik – Österreich) und die Konsequenzen der illegalen Migration für Bayern und das gesamte Bundesgebiet. „Bis heute ist keine Antwort erfolgt, weder von der Ministerin persönlich noch von irgendjemanden aus dem Bundesinnenministerium. Nicht einmal eine Eingangsbestätigung“, konstatiert Landrat Gruber und ergänzt: „Das verdeutlicht erschreckend den Umgang der Bundesregierung mit kommunalen Vertretern.“
Der höchst umfassende Bereich Asyl- und Migrationspolitik muss von den Ländern über den Bund bis hin zu Europa absolute Priorität haben. Die vergangenen Monate waren nach Jahren des Stillstands auf europäischer Ebene nun endlich mit Fortschritten im EU-Gesetzgebungsverfahren bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (bzw. dem Migrations- und Asylpaket) geprägt. Passend dazu hat Landrat Sebastian Gruber in seiner Funktion als Dritter Vizepräsident des Bayerischen Landkreistags am Dienstag und Mittwoch dieser Woche verschiedene Termine in Brüssel wahrgenommen. Die zwei Tage wurden von der Bürogemeinschaft der Europabüros der baden-württembergischen, sächsischen und bayerischen Kommunen organisiert. Verschiedene Vertreter der kommunalen Spitzenverbände aus den drei Bundesländern brachten kommunale Interessen und Sichtweisen gegenüber Europaabgeordneten und verschiedenen Spitzenbeamten ein. „Wir haben sehr eindringlich die Situation in unseren Gemeinden, Städten und Landkreisen geschildert und verdeutlicht, wie misslich die Situation vor Ort für alle Beteiligten ist, sowohl für die Bevölkerung und die kommunalen Vertreter als auch für die Geflüchteten selbst. Es besteht akuter Handlungsbedarf und deutlichere Entschlossenheit“, so Gruber.
Klar ist für Sebastian Gruber, dass die Asyl- und Migrationspolitik nicht mit kleinen kosmetischen Maßnahmen in den Griff zu kriegen ist. „Natürlich ist es ein komplexes Thema. Wir müssen aber weiterhin die Dinge beim Namen nennen, um Kommunen und Bevölkerung zu entlasten.“ Doch mit Blick auf das Thema illegale Migration sei ein viel entschiedeneres Vorgehen des Bundes notwendig. „Das ist eine Belastungsprobe für die gesamte Gesellschaft. Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Leistungs- und Handlungsfähigkeit des Staates stehen auf dem Spiel“, so Gruber. „Es braucht konkrete, umsetzbare Lösungen. Wir als kommunale Vertreter werden nicht müde, die Themen an allen relevanten Stellen anzusprechen, auch wenn es ein sehr dickes Brett ist.“
Sebastian Gruber (41) ist seit 2014 Landrat des Landkreises Freyung-Grafenau.
Seit 2020 ist Gruber Vorsitzender des Bezirksverbandes Niederbayern im Bayerischen Landkreistag. Im Mai 2023 wurde Sebastian Gruber zudem zum Dritten Vizepräsidenten des Bayerischen Landkreistags gewählt. Der Bayerische Landkreistag ist der Spitzenverband der 71 bayerischen Landkreise und hat das wesentliche Ziel, die kommunale Selbstverwaltung auf der Kreisebene zu sichern und zu stärken.