Gemeinsam statt einsam

In unserer modernen Gesellschaft fühlen sich immer mehr Menschen einsam.  Diese Empfindung hängt nicht unbedingt damit zusammen, ob man tatsächlich allein ist. So kann der eine einsam sein, obwohl er täglich mit Mitbewohnern oder Kollegen zu tun hat, während der andere fast keine sozialen Kontakte hat und trotzdem glücklich ist. Im Zuge des diesjährigen Präventionsschwerpunkts Einsamkeit des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege führt der Landkreis Freyung-Grafenau verschiedene Aktionen und Veranstaltungen in der zweiten Jahreshälfte durch. Ein wichtiger Baustein stellt dabei auch die Sensibilisierung und Auseinandersetzung mit der für alle Altersgruppen relevanten Thematik dar. Der Diplompsychologe Dominik Hammer aus Waldkirchen gibt Einblicke und klärt über das wenig in der Gesellschaft präsente Thema Einsamkeit auf.

Was versteht man eigentlich unter Einsamkeit?

Unter Einsamkeit versteht man das subjektive, negative Gefühl einer Abweichung der gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen. Dabei ist die Qualität der sozialen Beziehungen meistens wichtiger als die Anzahl. Die Einsamkeit ist von sozialer Isolation und Alleinsein abzugrenzen. Als gesellschaftliche Ursachen für Einsamkeit werden beispielsweise veränderte Beziehungsstrukturen ("Individualisierung“), der demografische Wandel, die gestiegene räumliche und soziale Mobilität sowie der Anstieg unpersönlicher Kommunikationsformen, vor allem durch die Digitalisierung gesehen. Für junge Menschen hat gerade die Veränderung durch die Medien gehäuft Gefühle von Einsamkeit ausgelöst: einerseits viele „Freunde“ und Follower im jeweiligen Netzwerk, wenn man den unmittelbaren Kontakt aber – im Ernstfall sozusagen – braucht, ist kaum einer da.

Was sind die Risikofaktoren für Einsamkeit?

Bekannte Risikofaktoren für Einsamkeit sind u. a. hohes Lebensalter, Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen und Armut, Wohnsituation, Migrationshintergrund, Partnerlosigkeit, gesundheitliche Einschränkungen (physisch und psychisch) sowie soziale Isolation. Faktoren der individuellen Lebensführung sowie grundsätzliche Haltungen können ebenfalls Einsamkeit begünstigen.  

Ist Einsamkeit etwas Schlechtes?

Einsamkeit an sich ist nicht zwangsläufig schlecht. Für viele Menschen hängt die Bewertung des Erlebens von Einsamkeit davon ab, ob ihre Einsamkeit gewollt, sogar geplant ist – oder erzwungen. Unfreiwillig entstandene Einsamkeit ist ein Hinweis darauf, dass Veränderungen notwendig sind. Es steht nicht fest, dass die gestiegene Zunahme von Einsamkeitsgefühlen während der Corona-Pandemie ausschließlich negativ zu bewerten ist. Punktuelle Einsamkeit kann – auch wenn sie nicht gewollt angestrebt worden war, dem Menschen eine Chance zur Rückbesinnung und Neuorientierung geben. Erst wenn Einsamkeit zur Chronifizierung neigt, wird sie zur Bürde und birgt Risiken für die körperliche und psychische Gesundheit.

Eine Analyse aus dem Jahr 2021 hat gezeigt, dass bereits vor der Corona-Pandemie bekannt war: einsame Menschen leiden häufiger unter chronischen körperlichen Beschwerden, Gebrechlichkeit, Herzerkrankungen, Schlaganfällen oder Unterernährung und weisen mehr psychische Symptome und Erkrankungen wie Depressionen, soziale Ängste, Psychosen, kognitive Einschränkungen und eine erhöhte Selbstmordgefährdung auf.

Wie verbreitet ist Einsamkeit in der Bevölkerung?

Es gibt keine offiziellen amtlichen Statistiken zur Einsamkeit. Einsamkeit ist auch keine Diagnose, die bei einer Krankenhauseinweisung oder auf einer Todesbescheinigung erscheint. Daten zur Häufigkeit und Verteilung der Einsamkeit innerhalb der Bevölkerung, zu den gesundheitlichen Folgen und den Risiko- und Schutzfaktoren sind zunächst nur anhand von wissenschaftlichen Studien vorhanden. Allerdings gibt es in der Wissenschaft keinen Konsens darüber, nach welchen Kriterien und mit welchen Instrumenten Einsamkeit empirisch zu erfassen ist. Nach eher vorsichtigen Schätzungen leiden zwischen 5% und 10% der Erwachsenen in Deutschland sehr häufig unter Einsamkeit.

Fest steht, dass vor allem durch die Pandemie Einsamkeitsgefühle bei der jungen Generation stark zugenommen haben, zusammen mit anderen psychischen Problemlagen, z.B. Depressionen.

Was kann man gegen Einsamkeit machen?

Als Individuum: Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung: zu allererst muss man sich selbst gegenüber ehrlich sein und sich eingestehen, dass man einsam ist - ein oft schwieriger Schritt. Der nächste Schritt ist, sich aktiv wieder um Verbundenheit zu bemühen. Eine positive Haltung kann man schon daraus ableiten, dass wir Menschen als soziale Wesen geboren sind und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit in unserer DNA liegt. In kleinen Schritten Kontakte anbahnen – und sich dabei auch unterstützen lassen – beweist die eigene, eventuell verschüttete Handlungsfähigkeit und führt heraus aus der oft empfundenen Opferrolle in ein Netzwerk aus sozialen Kontakten. Hier bietet sich z.B. die Aktivität in einem Verein an oder die Teilnahme an Veranstaltungen in der Nachbarschaft oder Region.

Der Königsweg dabei ist, den eigenen inhaltlichen Interessen zu folgen, auch frühere Hobbies wären wert, wieder aufgenommen zu werden, wenn möglich. Menschen sind immer über das sogenannte „Dritte“, also das gemeinsame Interesse verbunden und verbindbar.

Als Gesellschaft: Angebote machen, die mehr auf Gemeinsamkeit setzen als auf Wettbewerb. Soziologen sehen auch die Entwicklung in der Wirtschaft als verschärfende Bedingung für Vereinzelung und Vereinsamung bei der arbeitenden Bevölkerung. Und schließlich sollte mit Schein und Sein kritischer umgegangen werden. Wie oft überspielen Posts und Fotos auf Facebook oder Instagram den Mangel an wirklicher Nähe!

Vereine: Im Landkreis gibt es etliche Vereine, über die man sich im Internet oder mit einem Anruf informieren kann.

Veranstaltungen: Von traditionell bis modern, egal ob Heimat, Natur, Sport oder Musik – es gibt einige Möglichkeiten unter Leute zu kommen.

Malteser: Gute Gespräche im eigenen zu Hause, ein Spaziergang ins Grüne, ein Besuch im Stadtcafé - der Besuchs- und Begleitungsdienst der Malteser steht allen älteren Menschen offen. Informationen unter der Telefonnummer 08551-9178705.

Caritas: Die Beratungsstelle für psychische Gesundheit hilft bei sämtlichen Belangen weiter – anonym und unbürokratisch. Informationen unter der Telefonnummer 08551-58584.

Telefon-Gesprächspartner: Die Nummer gegen Kummer bietet unter der 116-111 Kindern, Jugendlichen und deren Eltern ein offenes Ohr bei sämtlichen Sorgen und Problemen. Für ältere Menschen sind die sogenannten Telefonengel unter der Telefonnummer 089-189 100 26 zu erreichen.

Diplompsychologe Dominik Hammer aus Waldkirchen im Interview. Foto: Landratsamt Freyung-Grafenau.


Zurück